Leistungssport als selbstverletzendes Verhalten: Die Gratwanderung im Ausdauersport

Veröffentlicht am 2. April 2025

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Laufwettbewerb

Ausdauersportarten wie Marathonlaufen, Triathlon oder Radfahren werden oft als Inbegriff von Disziplin, Durchhaltevermögen und mentaler Stärke gesehen. Doch hinter diesen Leistungen verbirgt sich eine komplexe Beziehung zum Schmerz, die in manchen Fällen eine gefährliche Richtung einschlagen kann: Leistungssport als eine Form des selbstverletzenden Verhaltens.

Schmerz als ständiger Begleiter

Im Ausdauersport ist Schmerz allgegenwärtig. Er wird nicht nur erwartet, sondern oft sogar als unvermeidbarer Bestandteil des Trainings und Wettkampfs betrachtet. Die Fähigkeit, Schmerz zu ertragen und ihn zu überwinden, wird als Zeichen von Stärke und Charakter angesehen. Doch wo liegt die Grenze zwischen gesundem Ehrgeiz und selbstschädigendem Verhalten?

Für viele Ausdauersportler beginnt der schmale Grat dann, wenn sie den Schmerz nicht mehr als Warnsignal des Körpers, sondern als notwendigen Bestandteil ihres sportlichen Erfolgs betrachten. In dieser Denkweise wird der Schmerz zu einem Feind, der bekämpft und überwunden werden muss, koste es, was es wolle.

Selbstverletzendes Verhalten im Deckmantel des Sports

Selbstverletzendes Verhalten wird klassisch als eine bewusste Handlung verstanden, die darauf abzielt, körperlichen Schmerz zu verursachen, um mit emotionalem Leid fertig zu werden. Im Kontext des Ausdauersports kann sich dieses Verhalten jedoch subtiler manifestieren. Die Sportler treiben ihren Körper bis an die äußersten Grenzen, ignorieren Warnsignale wie Übermüdung, Verletzungen oder extreme Erschöpfung und setzen sich einem enormen physischen und psychischen Druck aus.

Dieser extreme Umgang mit dem eigenen Körper kann als eine Form der Selbstverletzung betrachtet werden, besonders wenn der Schmerz als „normal“ oder gar notwendig betrachtet wird. Der Drang, sich immer weiter zu pushen, führt oft zu einer gefährlichen Spirale, in der das Erleben von Schmerz zur Bestätigung der eigenen Leistungsfähigkeit wird.

Illusion der Kontrolle

Ähnlich wie bei klassischem selbstverletzendem Verhalten kann der Umgang mit Schmerz im Ausdauersport auch eine Form der Kontrolle darstellen. Viele Sportler erleben den Sport als einen Bereich, in dem sie absolute Kontrolle über ihren Körper ausüben können, während sie in anderen Lebensbereichen möglicherweise Kontrollverlust empfinden. Der Schmerz wird so zu einem Mittel, das Gefühl von Kontrolle zu verstärken und den eigenen Wert als Sportler zu bestätigen.

Warnsignale und der Weg zu einem gesünderen Umgang

Es ist wichtig, die Warnsignale zu erkennen, die darauf hinweisen, dass aus gesundem Ehrgeiz eine selbstschädigende Praxis geworden ist. Chronische Schmerzen, häufige Verletzungen, Übertrainingssyndrom und eine obsessive Einstellung zum Training sind Anzeichen, dass der Sport mehr Schaden als Nutzen bringt. Auch mentale Symptome wie Angst vor Trainingsausfällen, ständige Unzufriedenheit mit den eigenen Leistungen oder das Gefühl, nie genug zu tun, sollten ernst genommen werden.

Fazit: Balance finden zwischen Ehrgeiz und Selbstfürsorge

Leistungssport und insbesondere Ausdauersport sind zweifellos mit Schmerzen verbunden. Doch es ist entscheidend, diesen Schmerz nicht zu glorifizieren oder als notwendiges Übel hinzunehmen. Ausdauersportler müssen lernen, die Signale ihres Körpers zu respektieren und eine Balance zwischen Ehrgeiz und Selbstfürsorge zu finden. Nur so kann Sport wirklich gesund sein – sowohl für den Körper als auch für die Psyche.

Leistungssport sollte nicht als selbstverletzendes Verhalten missverstanden werden, sondern als ein Streben nach Spitzenleistung, das immer im Einklang mit der eigenen Gesundheit steht. Die Auseinandersetzung mit Schmerz muss daher immer reflektiert und bewusst erfolgen, um den schmalen Grat zwischen Erfolg und Selbstschädigung nicht zu überschreiten.

Katherine Surtees - aus Krisen wachsen

Katherine Surtees

Katherine Surtees ist Expertin für mentale Gesundheit, Sporttherapie und integrative Psychotherapie. Mit einem Hintergrund in der Notfallmedizin und eigenen Erfahrungen mit gesundheitlichen Rückschlägen begleitet sie heute Jugendliche und junge Erwachsene.